Dieter Bruhn hat die technische (2008) und die musikalische (2019) Sanierung des Glockenspiels der St. Marienkirche in Lübeck gesponsert. Anwesend waren Dieter Bruhn, Hans-Ulrich Holst und Fred Volker Schulze. Sie haben sich getroffen, um über das Glockenspiel in St. Marien zu Lübeck zu sprechen.
Hans-Ulrich Holst
Herr Bruhn, wie sind Sie dazu gekommen, sich für das Glockenspiel der St. Marienkirche zu engagieren?
Dieter Bruhn
Dazu haben mich eigentlich meine früheren Besuche in St. Marien motiviert. Ich hatte Kontakt zu Walter Trautsch, einem Lübecker Bauunternehmer, der sehr viel an der St. Marienkirche gearbeitet hat. Er erzählte mir damals ganz stolz, dass er es war, der den Dachreiter auf St. Marien „gesetzt“ hat. Wir haben damals in St. Marien gemeinsam „unten und oben“ alles besichtigt, was wichtig war. Da war natürlich auch das Glockenspiel im Südturm dabei. Ich war seinerzeit sehr beeindruckt von der alten Technik, die angewandt worden war, um das Glockenspiel zum Klingen zu bringen. Das war eine Trommel mit vielen kleinen Haken, die so verstellbar waren, dass 22 verschiedene Choräle (je nach Kirchenjahreszeit) eingestellt werden konnten. Wenn die Trommel sich langsam drehte, wurde jeweils ein Drahtseil, das mit dem Klöppel einer bestimmten Glocke verbunden war, sozusagen „angerissen“. Dadurch ergab sich eine Melodie. Damals waren da 16 Seile zu 16 bestimmten Glockenklöppeln. Bei diesen „Besuchen“, 60 m hoch oben im Südturm, wurde darauf hingewiesen, dass diese „alte“ Technik im Lauf der Jahrzehnte „abgenutzt“ war und manchmal auch gar nicht mehr funktionierte. Der musikalische „Rhythmus“ war an vielen Stellen total „unpräzise“. Aber das war von Anfang an so, nachdem diese Technik eingabaut worden war.
Hans-Ulrich Holst
Pastor Schulze, wann ist denn dieses Glockenspiel in St. Marien installiert worden? Kam es nicht aus aus Danzig, aus der St. Katharinenkirche? Und war es nicht der Uhrmachermeister Behrens, der die Technik entwickelt und dann installiert hat?
Fred Volker Schulze
Ja, Uhrmachmeister Behrens war der Initiator des ganzen Projekts. Das war im Jahre 1954. Übrigens: Auch heute ist noch ist die alte Technik im Südturm vorhanden. Man kann demonstrieren, wie das früher funktioniert hat.
Hans-Ulrich Holst
Und können Sie mal sagen, wo das Glockenspiel ursrünglich herkommt?
Fred Volker Schulze
Ja. Die Glockengießerei Franz Schilling in Apolda hat 1908 das Glockenspiel (37 Glocken!) für die St. Katharinenkirche in Danzig gegossen. Im 2. Weltkrieg wurde es in Danzig abgebaut. Es kam zunächst mit Tausenden anderer Glocken aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in das „Glockenlager“ in Hamburg-Harburg. Es waren aber nur 36 Glocken. Die größte war „verlorengegangen“. Zum Einschmelzen kam es wegen des Kriegsendes nicht mehr. So waren die Glocken „gerettet“. Behrens hat sie dann nach Lübeck geholt. Acht Glocken mussten aber, weil sie „defekt“, waren schon damals in Heidelberg neu gegossen werden.
Hans-Ulrich Holst
Und jetzt waren schon wieder einige Glocken defekt?
Fred Volker Schulze
In der Tat! Jetzt mussten noch einmal sechs Glocken neu gegossen werden, um einen guten Klang für das ganze Glockenspiel zu ereichen.
Hans-Ulrich Holst
Da ist ja aus dem Danziger Bestand ist nicht mehr viel erhalten, sozusagen.
Fred Volker Schulze
So ist es. Also es sind also nur noch 22 ursprüngliche Danziger Glocken im Augenblick in Betrieb.
Dieter Bruhn
Und die neue größte Glocke, die 37.: Deren Guss hab ich doch unter anderem gespendet?
Fred Volker Schulze
Ja, das ist Ihr großes Verdienst, lieber Herr Bruhn!
Dieter Bruhn
Ich muss noch einmal etwas zu meiner Verbidung mit St. Marien sagen. Als ich ursprünglich aus Kiel über Preetz nach Lübeck kam, hat mich sofort die Historie der Marienkirche fasziniert. Und auch die „protestantische Liturgie“, die dort gefeiert wurde. Von meinem Bekanntschaft mit Bauunternehmer Trautsch hab ich bereits berichtet.
Später bin ich dann - ein großer Zeitsprung! –, als ich mit der Treuhandgesellschaft, vertreten durch Herrn Dr. Schreiber, verhandelte und und dann später auch durch Herrn Pastor Schulze, auf die Probleme mit dem Glockenspiel ganz direkt gestoßen. Und da hab ich mich dann begeistern lassen, die Sanierungen zu unterstützen. In Zusammenarbeit und in Abstimmung mit Pastor Schulze hab ich gesagt: „Okay, das mache ich!“ So sind dann die größte und noch sechs weitere Glocken bei der Firma Rincker in Sinn 2018 gegossen worden. Ich selbst bin in Sinn dabei gewesen und habe gesehen und beobachtet, wie Glocken gegossen wurden. Das war sehr, sehr beeindruckend! Während des eigentlichen Glockengusses durfte nicht geraucht und nicht gesprochen werden. Das war wirklich ein einmaliges Ereignis! Die Installation hat die Fa. Iversen & Dimier aus Hamburg übernommen, so dass jetzt das Glockenspiel sowohl manuell, durch ein Stokkenklavier, mit dem die Klöppel an die Glockenwand herangezogen werden, als auch digital, bei dem die Außenhämmer durch einen Synthesizer an die Glockenwand schlagen, zum Klingen gebracht werden kann. Dieses „Gerät“ kennt das Kirchenjahr. In ihm sind alle 22 Melodien gespeichert und es „regiert“ Die Uhr von St. Marien.
Meine Enkelkinder durften das Glockenspiel auch mal „manuell“ erklingen lassen, herrlich! Und es ist für mich immer ein besonderes Erlebnis, auf dem Rathausmarkt zu stehen und dann das
Glockenspiel zu hören. Ebenso ist es etwas Besonderes, mit der Familie und Außenstehenden den Südturm zu erklimmen und die ganze Installation zu betrachten. Und dass wir da auch als Familie und
Spender auf einer eigens dafür angefertigten Tafel „verewigt“ sind, ist natürlich ein besonderer „Punkt“ in der Geschichte unserer Familie.
Und dann kommt ja noch hinzu, dass die „defekten“ sechs Glocken, die ausrangiert wurden, noch einen besonderen Platz im Südturm bekamen. Auf einem Eichenbalken sind sie befestigt, können
angefasst werden, und erinnern eindrucksvoll an die wechselvolle Geschichte des Glockenspiels. Es gehört „unverwechselbar“ zum Klang der Hansestadt Lübeck. Das wird hoffentlich nicht für einige
Jahre oder Jahrzehnte so sein, sondern für Jahrhunderte!
Es hat eine Bedeutung für viele Menschen. Die Zeit wird eingeteilt und Choräle werden gespielt. Das hat eine wichtige Wirkung auf die Menschen, die dort in der Nähe wohnen und auch auf die
Besucher/innen, die Lübeck besuchen.
Hans-Ulrich Holst
Wie ist das für Sie mit dem Glockenspiel, Herr Schulze?
Fred Volker Schulze
Wenn man sich die Geschichte der Stadt und der Marienkirche anschaut, hat es einen Sinn, auch heute ein Glockenspiel in St. Marien zu haben, weil sich das älteste Glockenspiel Deutschlands seit 1508 im ehemaligen Dachreiter der Marienkirche befand! Das waren sechs Glocken. Schon Thomas Mann erzählt in den „Buddenbrooks“ von seinen Erfahrungen mit dem alten Glockenspiel, das im 2. Weltkrieg zerstört wurde. Er hörte es, wenn er zur Schule, zum Katharineum ging, und ärgerte sich darüber, wie verstimmt es klang.
Dieter Bruhn
Weil Sie das mit dem Glockenspiel auf dem Dachreiter von St. Marien erzählt haben, verstehe ich die Geschichte viel besser. Wie war das eigentlich auf dem Dachreiter? Wie hingen da die Glocken? „Offen“ oder „versteckt“?
Fred Volker Schulze
Sie hingen dort völlig offen. Man konnte sie von außen sehen. Sie wurden mit Hilfe einer Mechanik angeschlagen, die mit Seilen und Gewichten durch das Dach und das Hochschiffgewölbe im Innneren der Kirche verbunden war.
Dieter Bruhn
Das finde ich interessant. Also: Die Glocken hingen frei im Raum?
Fred Volker Schulze
Ja im unteren Bereich des Dachreiters über dem Hochschiffdach. Ich male Ihnen das mal mit einer Zeichnung auf ein Stück Papier.
Dieter Bruhn
Sie haben 'mal etwas von Schallfenstern gesagt. Wieso sind am Dachreiter keine Schallfenster?
Fred Volker Schulze
Die Glocken im Dachreiter wurden ja nur „angeschlagen“. Sie läuteten ja nicht. D.h.: Sie schwangen nicht hin und her. Beim Süd- und Nordturm der Marienkirche sind Schallfenster in den Glockenstuben eingebaut. Das ist nötig, damit der Klang der Glocken sich in der Glockenstube sammelt, vermischt und dann erst als Gesamtklang nach außen kommt. Wenn alles offen ist, kann sich der Klang nicht vermischen.
Sind Sie, lieber Herr Bruhn, damit einverstanden, dass das Interview, das wir gerade mit Ihnen gemacht haben, in das neue St. Marien-Jahrbuch, dass zum 75jährigen Jubiläum des St.
Marien-Bauvereins 2026 erscheinen soll, und auch in die neue Webesite des Bauvereins aufgenommen werden kann?
Dieter Bruhn
Ja, das bin ich!
Hans-Ulrich Holst
Herzlichen Dank, lieber Herr Bruhn!
Weitere Interviews sind geplant, u.a. mit Liane Kreuzer (Kirchenbauamt), Kay Gladigau (Architekt) und Renate Menken (Engagiertes Mitglied).